Gebäude der IHK in Hanau - Foto: Gottlieb -
Hanau. Brexit? Griechenland-Krise? Russische Soldaten auf der Krim und in der Ukraine? Chinesische Aggressionspolitik, „make Amerika great again“ und Unterdrückung der Opposition in EU-Staaten und -Aspiranten? Klingt nicht nach ruhigen Zeiten. Aber gleichzeitig: Rekordbeschäftigung und fast zwei Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr. Eine maßvoll anziehende Inflationsrate, welche Null- und Negativzinsen bald vergessen machen dürfte.
Ein im Großen und Ganzen wieder freundlicheres wirtschaftliches Umfeld in fast ganz Europa, aber auch in den USA, in Asien sowie in den Schwellenländern: Die Konjunktur in Deutschland und damit auch im Main-Kinzig-Kreis läuft stabil, und daran wird sich dieses Jahr voraussichtlich nicht allzu viel ändern. Darauf deuten die brandneuen Ergebnisse der Konjunkturumfrage hin, welche die Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern zum Jahreswechsel durchführte. Das ist fast schon langweilig, aus konjunktureller Sicht. Wenn es 2017 spannend wird, dann sorgt dafür die Politik.
Im vergangenen Jahr wuchs die deutsche Wirtschaft um 1,9 Prozent, im Main-Kinzig-Kreis dürfte es auf Grund der Wirtschaftsstruktur, die vergleichsweise stark von der Industrie geprägt ist, minimal weniger gewesen sein. Diese erfreulich guten Wirtschaftsdaten schlagen sich auch in der Konjunkturumfrage der IHK nieder. Immerhin 42,9 Prozent aller antwortenden 175 Unternehmen berichten, dass ihre derzeitige Geschäftslage gut ist. Nur 8,6 Prozent der repräsentativ ausgewählten Unternehmen aus dem Main-Kinzig-Kreis klagen über eine schlechte Geschäftslage. Damit liegt der Saldo bei einem stolzen Plus von 34,3 Punkten in etwa auf der Höhe von vor einem Jahr. Das ist ein sehr solider Wert, der seit Anfang 2010 nur sechsmal übertroffen wurde, bei insgesamt 22 Umfragen. „Diese hervorragende Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage durch die hiesigen Unternehmen belegt, dass bis jetzt die politischen Sorgen, zum Beispiel zum Brexit, noch nicht auf die Wirtschaftslage ausstrahlen. Die Ergebnisse heben sich wohltuend von den Kassandra-Rufen ab“, freut sich Dr. Gunther Quidde, Hauptgeschäftsführer der IHK. Auch hinsichtlich der künftigen Wirtschaftsentwicklung zeigen sich die Unternehmen aus dem Main-Kinzig-Kreis durchaus optimistisch. Laut IHK-Auswertung gehen 21,7 Prozent der Unternehmen in der Region davon aus, dass sich ihre Geschäftslage in diesem Jahr nochmals verbessert. Eine eher ungünstigere Wirtschaftsentwicklung befürchten hingegen nur 15,4 Prozent der Unternehmen. Beide Werte liegen deutlich besser als noch im Herbst und leicht positiver als vor einem Jahr. Zu diesem Befund passt, dass laut IHK-Umfrage die Auftragseingänge aus dem In- und Ausland zunehmen.
Entsprechend den unter dem Strich erfreulichen Einschätzungen steigt der IHK-Konjunkturklima-Indikator um 5,6 Punkte auf 119,5 Punkte – und liegt damit „voll im grünen Bereich“, so Quidde. Die zentrale Kennzahl gewichtet die Bewertungen der aktuellen Geschäftslage mit den Erwartungen und schwankt theoretisch zwischen null und 200 Punkten. Vor einem Jahr hatte der Indikator bei 118,8 Punkten gelegen und damit in etwa so gut wie in der aktuellen Unternehmensumfrage.
Viele Branchen haben Auftrieb
In der Industrie läuft es richtig gut. Die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes haben ihre leichte Schwächephase, die sie in der Jahresmitte 2016 erleiden mussten, souverän überwunden. Aktuell bewerten immerhin 43,1 Prozent dieser Unternehmen ihre Lage als „gut“, gegenüber 32,8 Prozent vergangenen September und 34,5 Prozent im Mai 2016. Der Anteil der „schlecht“-Bewertungen verharrt übrigens konstant auf einem niedrigen Niveau bei etwa zehn bis elf Punkten. Diese häufig exportabhängigen Unternehmen sehen auch ihre zukünftige Entwicklung deutlich positiver als noch vor einem Jahr: 310, Prozent gehen von einer weiter verbesserten Geschäftslage aus, gegenüber 16,7 Prozent vor einem Jahr. Auch die Pessimisten werden weniger: Eine schlechtere wirtschaftliche Geschäftslage in der Zukunft befürchten nur noch 13,8 Prozent, vor einem Jahr waren 19,7 Prozent der Industriebetriebe skeptisch. Bei den anstehenden Investitionsvorhaben ist keine trotzdem Ausweitung zu erkennen, das bisherige Niveau bleibt in etwa konstant. Die kaufmännische Vorsicht überwiegt. Vorsichtshalber wollen die Industriebetriebe stärker im Ausland investieren, wobei die China (47,6 Prozent), die Eurozone (44,9 Prozent) sowie Ost- und Südosteuropa (28,6 Prozent) die Hauptadressaten bleiben, Mehrfachnennungen waren bei dieser Frage erlaubt. International wird vor allem in Markterschließungen (47,6 Prozent) investiert sowie in Maßnahmen für mehr Nähe zu den Kunden (28,6), aber auch in den Aufbau einer günstigeren Produktion (23,8 Prozent).
Ebenfalls hoffnungsfroh bei guter Lage gestimmt sind weite Bereiche des Handels, hier vor allem die Großhändler mit und ohne Handelsvertreter, die auf sehr hohe Indikatorwerte von 128,7 und 127,5 Punkten beziehungsweise kommen. Der traditionelle innerstädtische Einzelhandel kommt hingegen nur auf einem Wert von 100,0 – die Pessimisten und Optimisten halten sich die Waage. Vermutlich ist dieses leicht verhaltene Stimmungsbild dem Ende des Weihnachtsgeschäfts zuzuschreiben. Mit hineinfließen könnte aber auch der Wettbewerbsdruck, der aus dem Internet kommt.
Noch deutlicher steht das Kredit- und Versicherungsgewerbe. Die Geldhäuser und Vermögensverwalter müssen sich einerseits mit den Folgen der EZB-Nullzinspolitik auf ihr Geschäft herumschlagen, andererseits spüren sie den Wettbewerb durch Digitalisierung. Weil neue Geschäftsideen und Wettbewerber über das Internet aufkommen, stuft die Branche ihre wirtschaftlichen Aussichten schon seit einiger Zeit vorsichtiger ein. Aktuell stehen 23,1 Prozent Optimisten immerhin 30,8 Prozent Pessimisten gegenüber. Vor zwei Jahren sah das noch ganz anders aus: Damals gaben zehn Prozent der Banken, Sparkassen und Versicherer an, von besseren Zeiten auszugehen. Pessimistisch in die Zukunft blickte Anfang 2015 kein Unternehmen!
Bei fast allen anderen Dienstleistungsbetrieben dürfte es 2017 im Großen und Ganzen unverändert gut laufen. Dies gilt nicht zuletzt für das Verkehrsgewerbe und die Tourismuswirtschaft.
Fachkräfte fehlen
Der Arbeitsmarkt hat sich mittlerweile vollends gedreht. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung im Main-Kinzig-Kreis. Immer mehr Unternehmen klagen über fehlende Fachkräfte. Am Jahresende waren im Main-Kinzig-Kreis offiziell 9.903 Menschen arbeitslos gemeldet, von denen 6.662 als Langzeitarbeitslose unter die Hartz-IV-Regeln fallen. Selbst dieser schwer zu vermittelnde Personenkreis schrumpft – vor einem Jahr waren zum gleichen Stichtag 6.838 Empfänger von Geldern nach SGB II gemeldet. Zum Vergleich: Im Dezember 2010 hatten die Statistiker noch 7.801 derartige Fälle verbucht, bei insgesamt 11.928 Arbeitslosen. Im kommenden Sommer und Herbst wird sich zeigen, ob die zu uns geflohenen Menschen auf dem Arbeitsmarkt unterkommen können. „Sie haben gute Chancen auf Arbeit, sie müssen aber gut Deutsch können, die notwendigen Qualifikationen mitbringen oder bereit sein, diese zu erwerben“, merkt Quidde dazu an.
Wo lauern die Gefahren?
„Seit sieben Jahren befragt die IHK die Unternehmen regelmäßig nach wichtigen Konjunktur-Risiken. Mittlerweile haben wir dadurch ein solides und aussagestarkes Fundament für unsere Einschätzungen“, berichtet Hauptgeschäftsführer Quidde. Laut der aktuellen Risikoabwägung der Unternehmen im Main-Kinzig-Kreis verlangen in den kommenden zwölf Monaten vor allem drei Themenfelder nach mehr Aufmerksamkeit: Der Fachkräftemangel (44,2 Prozent) und die auch deshalb steigenden Arbeitskosten (42,4 Prozent), außerdem die politischen Rahmenbedingungen (44,2 Prozent) – Mehrfachnennungen waren bei dieser Frage gestattet.
Noch sind alle drei Aufgaben für Quidde „lösbar“. Quidde konkret: „Solange die Binnennachfrage die Konjunktur stark trägt und solange die staatlichen und privaten Konsumausgaben, aber auch die Bauinvestitionen, kräftig zulegen, steht einer gedeihlichen Entwicklung nichts entgegen – außer die Bürger in Europa wählen ihren Wohlstand ab.“ (IHK)