Holocost-Denkmal in Berlin - Foto: Wolfgang Gottlieb
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von russischen Truppen befreit. Diesen Tag nahm 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog zum Anlasse einen nationalen Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus auszurufen.
Heinz Daume von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hanau erinnert aus diesem Anlass an Henry Hirschmann, inhaftiert im Konzentrationslager Buchenwald, Teilnehmer des amerikanischen Feldzugs gegen Deutschland und viele Jahre Zeitzeuge des Holocaust.
Sechs Millionen Juden, Männer Frauen und Kinder wurden in der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 ermordet. Eine Zahl bei der man schnell gedanklich übersehen kann, dass es sechs Millionen Einzelschicksale waren. In den Konzentrationslagern wurden ihnen Nummern auf den Arm geschrieben, doch jeder Name zählt. Im Einzelschicksal teilen wir das Leben eines Menschen mit den eigenen Emotionen und Gedanken. So helfen wir mit, ihr Leben dem Vergessen zu entreißen und ihnen die Würde zurück zu geben, die ihnen einst genommen wurde.
Henry Hirschmann - Foto: Heinz DaumeZum diesjährigen Gedenken möchte ich an Henry Hirschmann erinnern. Er überlebte den Holocaust und wäre jetzt 100 Jahr alt, ist aber am 17. Oktober 2019 in Charlotte, North-Carolina gestorben. Henry hatte sein eigenes Schicksal zu tragen, aber wenn er über das Schicksal seiner Familie redete, kamen ihm immer wieder Tränen in die Augen. Seine Erfahrungen hat er geteilt und ist zu einem wichtigen Zeitzeugen nicht nur für Großkrotzenburg und Hanau, sondern auch in Amerika geworden.
Am 5. August 1920 wurde Henry, damals noch Heinz in Großauheim als ältester Sohn von Maier und Ida Hirschmann geboren. Später kamen 2 Brüder Paul, 1923 geb., und Lothar, geb. 1932, zur Familie hinzu. In der Synagoge von Großkrotzenburg erlebte Henry 1933 ganz bescheiden seine Bar Mitzwa, die jüdische Konfirmation. Als Nazizeit begann und war es ihm nicht möglich auf eine höhere Schule zu gehen, darum erlernte er den Beruf eines Kaufmanns in einer Lederwarenfabrik in Offenbach. Am 10. November 1938 erhielt er dort einen Anruf von seiner Mutter. „Junge, komm nicht nach Hause, fahre nach Holland“. Henry verstand nicht, was seine Mutter ihn bat, er hatte ja weder Geld noch Kleider zum Reisen. So fuhr er abends mit dem Zug wieder nach Großauheim. Ihm wurde eröffnet, dass er sich bei der Polizei zu melden hätte. Henry zog seinen guten Mantel an und war sicher, dass er in kurzer Zeit wieder zu Hause war. Doch es kam anders. Alle männlichen Juden über 18 Jahren, denen die Nazis habhaft werden konnten, wurden unter Schlägen und anderen Repressalien nach Buchenwald in ein frisch errichtetes Konzentrationslager gebracht. Henry, erste wenige Monate zuvor 18 Jahre alt geworden, gehörte dazu. Er wurde wie alle anderen in „Schutzhaft“ genommen, weil Nazis ihre Wohnungen zerstört, Geschäfte zertrümmert und die ihre Gotteshäuser geschändet und zu einem großen Teil in Brand gesteckt hatten.
Den Eltern, der Vater hatte sich rechtzeitig bei den Pogromen versteckt, gelang es für den Sohn eine Ausreisegenehmigung in die USA zu bekommen. Im Januar 1939 wurde Henry aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen und schon nach wenigen Monaten konnte er Deutschland verlassen.
Seine Geschwister Paul und Lothar, sowie die Eltern blieben zurück. Henry hoffte für sie alle noch eine Ausreise zu bekommen, aber es gelang ihm nicht einen Geldgeber zu finden, der bereit war, die nötigen Gelder für die Überfahrt und den Lebensunterhalt in den USA zu garantieren.
Die Mutter schrieb ihm Briefe, dass es ihnen gut gehe, doch ein Leben in Großauheim war nicht mehr möglich, die Familie zog in ein Judenhaus in Frankfurt, in die Ostendstr. 10.
Mit der zweiten großen Deportation vom Frankfurter Ostmarkt wurden sie gezwungen ihre neue Heimat Frankfurt zu verlassen. Am 11. November 1941 fuhr ein Zug von der Ostmarkthalle, wo sie sich sammeln mussten, nach Minsk. Die 1042 jüdischen Frauen, Männern und Kinder wurden vermutlich gleich nach der Ankunft in Minsk erschossen. Nur 10 Menschen überlebten diese Deportation. Lothar war gerade einmal 9 Jahre alt.
In den USA trat Henry in die US Army ein, um seinen eigenen Beitrag zum Kampf gegen die Nazis zu leisten. Er gehörte zu den ersten, die in der Normandie landeten. Mit seiner Division erreichte er Salzburg als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Erst dann erfuhr er das volle Ausmaß der Gräueltaten der Nazis. Dennoch half er nach dem Krieg Menschen aus Großauheim, die ihn in seiner militärischen Stellung um Hilfe baten. Er blieb noch für zwei Jahr in Wiesbaden stationiert. Zurück in den Vereinigten Staaten heiratete er Blanche Weinstein. Das Paar hatte keine eigenen Kinder. Sie entschieden sich, zwei Kinder zu adoptieren. 1959 kam das Ehepaar nach Passau und adoptierte dort zwei deutsche Kinder aus einem Kinderheim.
1992 wurde Henry Hirschmann von der Gemeinde Großkrotzenburg, dem Ort seiner Synagoge, eingeladen und kam in der Folge mehrere Male in seine frühere Heimat. Er wurde hier zu einem wichtigem Zeitzeugen der in Schulen und Kirchen über sein und das Schicksal seiner Familie berichtete. In Amerika wurde ihm die Ehre zuteil gleichzeitig als Kriegsveteran über seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zu berichten. Trotz seiner schicksalhaften Vita behielt er Optimismus und Fröhlichkeit und konnte so gerade jungen Menschen ein wertvoller Gesprächspartner sein. (Pfarrer Heinz Daume)