Hanau. Wenn die Sonne lacht ist Hanaus erster öffentlicher Bücherschrank auf dem kleinen Platz in der Gärtnerstraße Anziehungspunkt für Jung und Alt. Vier Monate nach seiner feierlichen Eröffnung hat sich das rote Möbelstück zu einer beliebten Tauschbörse für Literatur aller Art entwickelt. Mittlerweile ist der Bestand auf rund 400 Bücher angewachsen, aus dem sich die Menschen in der südlichen Innenstadt gerne bedienen. "Ich freue mich sehr", sagt Stadtrat Axel Weiss-Thiel, "dass unser Weg in die spannende Welt der Bücher so gut angenommen wird."
Furkan interessiert sich diesmal für "Tierische Talente" und packt das Buch in den Kinderwagen seiner Mutter, in dem seine kleine Schwester schlummert. Vom Dinosaurier-Buch, das zuhause liegt, konnte sich der Sechsjährige nicht trennen. Er will es vielleicht später zurückbringen. "Ich mag Bücher", erzählt er und gesellt sich zu seinem Bruder Hadi (9), der noch unentschlossen vor dem Bücherschrank steht und ebenfalls zu den begeisterten Nutzern gehört. Mutter Elif Eroglu hat ihre Leidenschaft für das Lesen gemeinsam mit ihren Kindern entdeckt. "Manchmal spielen wir Lesewettbewerb. Wer zuerst einen Fehler macht muss das Buch weitergeben. Und ich lerne dabei Deutsch."
Für Stadtrat Weiss-Thiel zeigt diese kleine Episode beispielhaft, "welche Wirkung unser niedrigschwelliges Angebot entfalten kann und wie sinnvoll es ist. Denn der kontinuierliche Umgang mit der deutschen Sprache verbessert die Bildungschancen und schafft die Voraussetzungen für einen guten Ausbildungs- und Arbeitsplatz." Seine Hoffnung ist, "dass diese kleine Bücherei mitten im Quartier Appetit macht, auch eine öffentliche Bibliothek zu besuchen".
Die Idee eines öffentlichen Bücherschranks kam von engagierten Menschen aus dem Stadtteil im Rahmen der Bürgerbeteiligung des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt". Damit sollen in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf Impulse gesetzt werden, um das soziale und kulturelle Leben zu aktivieren, das Wohnumfeld zu verbessern und die gute Nachbarschaft unterschiedlicher Kulturen zu fördern. In der südlichen Innenstadt haben 60 Prozent der Menschen ausländische Wurzeln. Der Prozess von der Idee bis zur Realisierung dauerte fast drei Jahre. Die Anschaffungskosten von 5200 Euro teilten sich Bund, Land und Stadt zu je einem Drittel. "Den Schrank zu finanzieren ist das eine", betont Axel Weiss-Thiel. "Viel wichtiger für die Nachhaltigkeit des Projekts ist jedoch das ehrenamtliche Engagement, das langfristig gesichert sein muss."
Der massive Schrank aus Stahl und mit Türen aus bruchsicherem Glas steht auf einem kleinen Platz an der Ecke Gärtnerstraße unter einem Baum und mit einer Bank in unmittelbarer Nähe, die zum Verweilen, zum Plausch und zum Lesen einlädt. Außer den vier ehrenamtlichen "Schrank-Paten" Verena Özhan, Norbert Wehner, Abdullah Özenc und Cemal Uran haben auch die Bewohner des Quartiers ein wachsames Auge auf den Schrank. "Die soziale Kontrolle funktioniert", bestätigt Brigitte Makko vom Stadtteilladen Südlicht. Liegen Bücher auf statt in dem Schrank ist in der Regel in kürzester Zeit jemand zur Stelle, der sie wieder einräumt. Und wenn Kinder oder Jugendliche auf dem Quartiersplatz "Blödsinn machen", würden sie alsbald verwarnt.
Dass der Schrank so vielfältig und reich bestückt ist, spricht nach den Worten des Sozialdezernenten für die hohe Akzeptanz und Identifikation im Stadtteil. Die Bücher sind durchweg in einem guten Zustand. In der untersten Etage stehen leicht erreichbar die Kinderbücher, weiter oben Krimis, Reiseführer, Belletristik aller Art, Sachbücher und auch Klassiker. Eine Frau hat kürzlich freudestrahlend Michael Endes Roman "Momo" mitgenommen, ein heiß geliebtes Buch aus Jugendtagen. Sonja Vogel entdeckt oft "Lektüre der Spiegel-Beststeller-Liste, die in der Stadtbibliothek immer vergriffen sind, wenn ich sie ausleihen möchte". Sie gehört zu den regelmäßigen Nutzerinnen, die Bücher holen und neue einstellen. Für Nachschub ist gesorgt. Allein bei Patin Verena Özhan lagern zwei Kartons mit Bücherspenden. Für die Erstausstattung hatten seinerzeit unter anderem der Förderverein der Stadtbibliothek und der Buchladen am Freiheitsplatz gesorgt.(pshu)